Neu: Zur virtuellen Ausstellung über Kurt Schwaen

 

Orchestermusik (CDs »Jeu parti« und »Solokonzerte«)

Kurt Schwaen: »Jeu parti«. Musik für Streichorchester aus vier Jahrzehnten

Versuch einer Einführung in die Werke

(Booklet-Text vom Komponisten)

Die vorliegende CD enthält Kompositionen für Streichorchester, die in einem Zeitraum von vier Jahrzehnten entstanden sind. Unterschiede ergeben sich allein aus der zeitlichen Distanz. Wir hören zuerst eine Komposition, deren Idee dem Zeitalter der Troubadoure (13. Jahrhundert) entstammt. »Jeu parti« hießen damals Streitgedichte, mit denen zwei Dichter mit ihrer Kunst in einen Wettbewerb traten. Es war eine Art ritterliches Duell, bei dem nicht der Degen siegte, sondern das Wort.

Mir gefiel es, die Idee ins Musikalische zu übertragen. In meinem Jeu parti treten die Duellanten nicht nacheinander auf, sondern zugleich. Es sind die Violine und das Violoncello, die ihre Kadenzen gemeinsam bestreiten und sich ergänzen oder zu übertreffen suchen. Das Orchester mag den Partner abgeben oder den Zuhörer. Wenn man will, gilt dies Prinzip für ein Konzert schlechthin, da der Solist sich mit dem Orchester verbindet oder, zumal in der traditionellen Kadenz, auch selbständig behauptet.

Auf dieser CD können wir das auch im Concert pour la jeunesse für Klavier, wie im Divertissement für Violoncello und Streichorchester verfolgen. Mit vier Sätzen im Concert und gar fünf im Divertissement ist die übliche Dreisätzigkeit übertroffen. Man wird hören, dass die traditionell-akademische Form offenbar gar nicht angestrebt wurde. Eher, dass der unterhaltende Charakter dominieren sollte.

Die Tre danzi wurden aus verschiedenen Jahren zu einer Einheit zusammengefasst. Gleich zu Beginn mit der Danza ostinata treffen wir auf einen Typ, der für alle Sätze gelten wird. So unterschiedlich im Einzelnen, vereint sie das Ostinato bis zum unaufhörlichen Wirbel des Drehtanzes.

Streng dagegen treten die Variationen über ein niederländisches Volkslied aus dem 16. Jahrhundert auf. Es ist die Zeit der Herrschaft der Spanier über das kleine Volk der Niederländer. »Geusen« (Bettler) wurden die Aufständischen genannt. Die Spanier meinten es spöttisch; die Niederländer sangen die Lieder selbstbewusst in ihrem Kampf um ihre Unabhängigkeit. Die Variationen mögen diese ebenso verlust- wie siegreiche Zeit widerspiegeln.

Die frisch-freudig und unbekümmert dahinstürmenden Ecksätze des Concert pour la jeunesse umschließen zwei Sätze von größter Gegensätzlichkeit. Dem ausgedehnten nachdenklichen Andantino, das der Jugend manches abverlangen wird, folgt ein geradezu rüpelhaftes Scherzo, das ganz auf das Orchester verzichtet. Die linke Hand, fast ein Begleiter, beschränkt sich während des ganzen Satzes auf drei ostinate Töne. Die rechte Hand mag zusehen, was sie mit solchem Partner anfängt.

Ein Ostinato findet sich auch im 4. Satz des Divertissement. Vier Schläge (nach Belieben auf dem Resonanzkörper oder einer Trommel) führen jeweils das immer neu variierte Thema ein, das einem bäuerlichen Tanz gleichen könnte. Das Cello, der Tenor unter den Streichern, hat jedoch auch ausreichend Gelegenheit, die Kantilene, mit der das Konzert beginnt, in allen Sätzen dominierend hervortreten zu lassen.

Völlig verschieden von den bisherigen Werken sind die Serenata und das Nocturne claire. Beide einsätzig und von geringer Dauer zeigen sie die Streichinstrumente von einer anderen Seite. Die Serenata, ein Präsentationsstück für einen Solo-Violinisten – ich scheue hier das gemütliche Wort Geiger -, wird begleitet von drei ebenso wichtigen Geigern, die sich mit ihm selbstbewusst das lyrische Intermezzo teilen.

Das Nocturne claire könnte man sich fast tonlos gespielt vorstellen. Es verführt zur Meditation durch die schemenhaft gleich bleibende Wellenbewegung der hohen Geigen. Die tiefen Instrumente, zunächst mit nur wenigen ausgehaltenen Tönen hinzutretend, heben sich zu einem ernsten Gesang hervor. Der letzte Ton verklingt.


Solokonzerte

Kurt Schwaen: Solokonzerte

(Auszug aus dem Booklet-Text)

Mit der Einspielung der vorliegenden drei Solokonzerte Kurt Schwaens wird sein Schaffen für dieses Genre über einen Zeitraum von fast 25 Jahren exemplarisch repräsentiert. (...) Gewiß ist Schwaen kein Sinfoniker und er will es auch nicht sein. In den Solokonzerten äußert sich das nicht nur in der zeitlichen Kürze, sondern vor allem in der musikalischen Überschaubarkeit. Der kammermusikalische Grundgestus der Musik ist es auch, der dem Hörer den Zugang zu den Werken erleichtert. Der Komponist verleugnet nicht die Tradition, will nicht schockieren, läßt neue Techniken nicht zum Selbstzweck werden. Er vermischt strukturelle Gestaltungsmittel der neuen Musik geschickt mit traditionellen Kompositionstechniken. Wichtig allein ist die Wirkung, wie es »gemacht ist« muß man nicht nachvollziehen. Scheinbar Vertrautes erklingt, wird verändert, neu beleuchtet, erhält eine andere musikalische Struktur.

So gelingt es ihm, auch in anspruchsvollen Werken verständlich zu bleiben, Interpreten wie Hörer zu aktivieren und zu fordern. Schwaen überrascht immer wieder mit neuen Einfällen, er weiß genau um ihre Wirkung und dehnt sie nie über Gebühr aus. Seine Themen und Motive bestehen oft nur aus wenigen Tönen; disziplinierte Knappheit und aphoristische Kürze sind typisch für seine Kompositionen. (...) Dazu kommen sein ausgeprägter Sinn für rhythmische Gliederungen, seine Vorliebe für freie Metren und wechselnde Taktarten, sowie sein musikalisch-lyrisches Empfinden.

Das 1. Klavierkonzert entstand in seiner endgültigen Fassung 1964; im Gegensatz zu vielen anderen Werken Schwaens, war es nicht in einem Wurf gelungen und hatte beträchtliche Geburtswehen verursacht. Das Orchester besteht nur aus Blasinstrumenten, Pauken, Schlagzeug und Kontrabaß. Obwohl der Komponist gegenüber Programm-Musik eine Abneigung hegt (»Wer die Titel braucht, versteht die Musik nicht«), lassen sich in diesem Werk außermusikalische Einflüsse erkennen. Nachweisbar sind sie im 1. Satz (Moderato, deciso), wo Teile aus der Musik zu dem Film Der Fall Gleiwitz (1961) einbezogen wurden. (...)

Der Film rekonstruiert minutiös den von den Nazis am 31.August 1939 fingierten „polnischen" Überfall auf den Sender Gleiwitz, der die Begründung zur Auslösung des Krieges gegen Polen liefern sollte. (...) Hier kam der Musik mit tragisch-heroischen Tönen, die bei Schwaen sonst selten zu hören sind, eine besondere Bedeutung zu.

Während die beiden Ecksätze dem Pianisten ausreichend Gelegenheit geben, sein virtuoses Können zu zeigen, führt der Solist im Mittelsatz (Andante molto) ein Zwiegespräch mit dem Orchester, nachdenklich und ernst, mit lyrischen Partien.

Der dahinstürmende 3. Satz (Allegro molto) wird von rhythmischen Impulsen bestimmt. Er beginnt schon virtuos mit hämmernden Achteltriolen im Klavier, denen durch das Orchester Akzente gegeben und damit gleichsam Lichter aufgesetzt werden. Auch die ausgefüllten Oktavgriffe erfordern vom Pianisten bei diesem Tempo besondere Exaktheit und Brillanz.

Erst zum Schluß, nach der großen Kadenz in wechselndem 3/2 und 2/2 Takt, kommt es zur befreienden Lösung – symbolisch gesehen vielleicht zu einem sieghaften Ende des Guten – und zur Entspannung. (...)

An Werken mit größerer Orchesterbesetzung folgten dem 1. Klavierkonzert u.a. die Variationen über ein Thema von Robert Schumann (1964/65), Promenaden (1971), aber auch mehrere Bühnenstücke (Ballade vom Glück, Ballett, 1966; Pinocchios Abenteuer, Oper für Kinder, 1969/70). Diese vielschichtigen Erfahrungen mit den Spiel- und Klangmöglichkeiten von Orchesterinstrumenten wirkten sich in Schwaens späteren Orchesterwerken in einer meisterhaften Instrumentierung aus. Er arrangiert nicht mehr wie in früheren Zeiten, sondern denkt in Klangfarben und schöpft aus den Möglichkeiten der Instrumente aparte Klangfarbenmischungen.

Das Violinkonzert wurde 1979 auf Wunsch des Rostocker Geigers Ulfert Thiemann geschrieben, der es auch 1981 in Stralsund uraufführte. Ausgehend von d, dem Zentralton des gesamten Konzertes, basiert der 1. Satz (Poco Allegro) auf einem neuntönigen Thema. Die fehlenden Töne c, f und a treten niemals auf, dennoch entsteht nicht das Gefühl einer Konstruktion, da der Komponist solche »Reihen«-Themen nicht dodekaphonisch, sondern auf traditionelle Weise verarbeitet. (...)

Der emotional sehr anrührende langsame Mittelsatz (Moderato) ist wie eine lyrische Szene gestaltet. Über dem Orgelpunkt D im Orchester steigt die Violine im wiegenden Siciliano auf und ab. Das Orchester übernimmt das Thema und nach einer Überleitung »singt« die Violine in weitgeschwungener, aber enggliedriger Melodik ihr Lied von herber Schönheit (Adagio). Ein kurzes Orchesterzwischenspiel führt zum variierten Anfangsthema zurück.

Den 3. Satz (Andante – Presto) beginnt das Orchester unisono, in Al-fresco-Manier dahinjagend. Nach einer Ruhepause auf cis, nach der man eigentlich eine Kadenz erwarten würde, folgt ein neuer Abschnitt im Orchester mit einem marschartigen, leicht grotesken Thema, zu dem sich die Violine in schnellen Sechzehntel-Bewegungen gesellt. Ein Duett zwischen ihr und der Flöte leitet – wieder mit dem Anfangsthema – den Schluß ein. (...)

Es sollten 23 Jahre vergehen, bis der Komponist dem ersten Klavierkonzert ein zweites folgen ließ, das Vietnamesische Konzert« (1987). Vielfältige Beziehungen verbinden ihn mit dem fernöstlichen, ebenso duldsamen wie widerständigen Volk in einem reizvollen Land, das er mehrfach besuchte.(...)

Die Sätze tragen Überschriften, welche auf das verwendete Material hinweisen. Der 1. Satz Le ton la (Andante molto) beginnt mit einer Orchestereinleitung, die um den Ton a kreist. Er wird auch zur Grundlage des folgenden zunächst zierlich wirkenden 4-Ton-Motivs a-h-d-e, welches die Streicher, scheinbar noch zögernd, vorstellen, bis bald alle Instrumente damit ihr Spiel treiben. Mit dem Einsetzen des Klaviers erhält es jäh einen barschen, ja fast brutalen Charakter, der durch die Orchestereinwürfe noch verstärkt wird. Ein neues, diesmal 12-töniges Thema kündigt sich an. Nach einem stillen Lento, in dem die rechte Hand des Soloklaviers immer wieder zum a findet und dort am Ende auch verharrt, trägt es das Fagott vor, zu harten Achtelschlägen der Pauke auf a. Das Thema breitet sich aus und wird variiert, bis damit der 1. Satz auf a verklingt.

Den 2. Satz Les deux tons (Durchgehend still) nennt der Komponist selbst das »Herzstück« des Konzertes, und das ist im doppelten Sinne gemeint. Zwei Töne im Ganztonabstand – fis und gis – werden wie ein Ostinato ständig wiederholt. Dazu gesellen sich andere benachbarte Töne, so daß Schwebeklänge entstehen, die, durch Marimbaphon und Flöte aufgehellt, eine asiatisch anmutende, ja meditative Wirkung erzielen.

Der 3. Satz Deux-trois-trois (Vivo) lebt vor allem von dem rhythmisch unregelmäßigen und hartnäckigen Motiv 2+3+3. Hier mündet die Schwaensche Motorik in sprühende Extase, in ein unaufhaltsames Vorwärtsstürmen (...).

Ina Iske

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